Immissionsschutz
Unter für die Nachbarschaft schädlichen Umwelteinwirkungen sind alle Immissionen im Sinne von § 3 BImSchG zu verstehen, die für die Nachbarn nach Art, Ausmaß und Dauer unzumutbar sind. Was zumutbar ist, richtet sich u.a. nach der durch die Gebietsart und die tatsächlichen Verhältnisse bestimmte Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der Umgebung, die tatsächlichen und planerischen Vorbelastungen, etc., wobei wertende Elemente wie die Herkömmlichkeit, die soziale Adäquanz und die allgemeine Akzeptanz mitbestimmend sind (st. Rspr. des BVerwG, vgl. etwa Urteil vom 21.05.1976, BVerwGE 51, 38; Urteil vom 29.04.1988, BVerwGE 79, 254; Urteil vom 30.04.1992, NJW 1992, 2779; Urteil vom 24.09.1992, NJW 1993, 342; vgl. auch BVerwG, Urteile vom 21. Mai 1976 - 4 C 80.74 -, BVerwGE 51, 15, und vom 14. Januar 1993 - 4 C 19.90 -, BRS 55 Nr. 175; OVG NRW, Urteil vom 20. September 2007 - 7 A 1434/06 -, BRS 71 Nr. 58).
Die Beantwortung der Zumutbarkeitsfrage verlangt eine einzelfallbezogene Interessenbewertung, wobei ein objektiver Maßstab anzuwenden ist und zur Konkretisierung immissionsschutzrechtlicher Grundanforderungen Verwaltungsvorschriften und technische Regelwerke heranzuziehen sind (vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 07.10.2009 – 1 10872/07 – juris).
a) Geruch:
Für die Beurteilung von Geruchsbelästigungen gibt es keine untergesetzlichen Rechtsgrundlagen. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass die Geruchsimmissions-Richtlinie in der Fassung vom 21. September 2004 (GIRL 2004) bzw. in der inzwischen vorliegenden Fassung vom 29. Februar 2008 mit Ergänzungen vom 10. September 2008 (GIRL 2008) und die VDI-Richtlinie 3471 (Emissionsminderung Tierhaltung - Schweine) aus dem Jahr 1985 bei der tatrichterlichen Bewertung der Erheblichkeit von Geruchsbelastungen durch Tierhaltung als Orientierungs- bzw. Entscheidungshilfe herangezogen werden können. Die Regelwerke enthalten technische Normen, die auf den Erkenntnissen und Erfahrungen von Sachverständigen beruhen und insoweit die Bedeutung von allgemeinen Erfahrungssätzen und antizipierten generellen Sachverständigengutachten haben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Mai 2007 - 4 B 5/07 -, BRS 71 Nr. 168; OVG NRW, Urteil vom 20. September 2007, a.a.O., Beschluss vom 24. Juni 2004 - 21 A 4130/01 -, NVwZ 2004, 1259).
Eine Begutachtung nach den Regelwerken ist jedoch nur ein Kriterium zur Bewertung von Geruchsimmissionen. Darüber hinaus hat zur Frage der Zumutbarkeit jeweils eine umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu erfolgen, vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. September 2007 und Beschluss vom 24. Juni 2004, jeweils a.a.O.
D.h. es wird zunächst eine Beurteilung nach VDI-Richtlinie 3471 durchgeführt, um den Mindestabstand des Vorhabens zu Nachbarn (z. B. Wohngebieten oder Wohnhäusern etc) festzustellen. Dabei ist es möglich einen so festgestellten Mindestabstand unter bestimmten Voraussetzung noch bis auf die Hälfte zu verringern. Eine Unterschreitung des Mindestabstandes führt jedoch nicht automatisch zur Unzulässigkeit, sondern erfordert nach Nr. 3.2.3.4 der Richtlinie eine Sonderbeurteilung, bei der die einzelbetrieblichen Standortverhältnisse, besondere atmosphärische Bedingungen und die spezielle Einbindung in die Bebauungs- und Nutzungssituation zu berücksichtigen sind (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 27.06.2007 – 12 LA 14/07, juris).
Eine solche Sonderbeurteilung kann nach der Geruchsimmissions-Richtlinie durchgeführt werden. Die GIRL enthält ein Regelwerk, dass - anders als die VDI- Richtlinie 3471 - eine genauere Immissionsprognose unter Anwendung einer Geruchsausbreitungsberechnung ermöglicht und auch Vorbelastungen durch weitere geruchsemittierende Betriebe berücksichtigen kann. Letzteres ist z. B. geboten, wenn sich in der Nähe des Vorhabens noch weitere Tierhaltungsbetriebe befinden.
Erst wenn die Vorbelastung durch die vorhandenen Stallanlagen - ausgehend von dem jeweils genehmigten Tierbestand - bekannt ist, kann abschließend beurteilt werden, ob eine Zusatzbelastung von der Nachbarschaft hinzunehmen ist (vgl. zur Prognosebasis bei vorhandenen emittierenden Betrieben vgl. OVG NRW, Urteil vom 23. Oktober 2001 - 10a D 123/99.NE -, BRS 64 Nr. 10; Beschluss vom 6. Mai 2005 - 10 B 2657/04.NE -, juris, Beschluss vom 15. Dezember 2005 - 10 B 1668/05.NE -, BRS 69 Nr. 16).
Beachte: Ist eine bereits vorhandene Geruchsbelastung für den Nachbarn nicht zumutbar, kann im Einzelfall jede Erhöhung der Belastung, auch wenn sie nach Nr. 3.3 der GIRL als nicht relevant anzusehen wäre, bei der gebotenen umfassenden Würdigung aller Umstände zu einer Unzulässigkeit des Vorhabens führen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23.03.2009, - 10 B 259/09
b) Lärm:
Bei den erwähnten Anlagen bildet in der Regel Verkehrslärm (Zu- und Abgangsverkehr, zum Beispiel zum An- oder Abtransport von Futter oder Tieren) ein Problem (dazu gleich aa), aber auch der eigentliche Tierlärm (z. B. beim Ein- und Ausstallen) kann problematisch sein (dazu gleich bb).
aa) Maßgebliche Regelung für die Problematik ist Ziff. 7.4. Abs. 2 der TA Lärm i. V. m. den Regeln der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV). Hiernach sollen Geräusche des An- und Abfahrtverkehrs auf öffentlichen Verkehrsflächen in einem Abstand von bis zu 500 Metern von dem Betriebsgrundstück in Gebieten nach Nummer 6.1c bis f TA Lärm durch Maßnahmen organisatorischer Art soweit wie möglich vermindert werden, soweit sie den Beurteilungspegel der Verkehrsgeräusche für den Tag oder die Nacht rechnerisch um mindestens 3 dB(A) erhöhen, keine Vermischung mit dem übrigen Verkehr erfolgt und die Immissionsgrenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung erstmals oder weitergehend überschritten werden (vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 07.10.2009 – 1 A 10872/07- juris.)
Dabei ist grundsätzlich der durch die Nutzung einer baulichen Anlage bedingte Zu- und Abgangsverkehr dieser auch dann zuzurechnen, wenn er auf der öffentlichen Verkehrsfläche im Bereich der baulichen Anlage stattfindet (BVerwG, Urteil vom 27.08.1998, Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr 190). Für die Beurteilung der Zumutbarkeit des vom Zu- und Abgangsverkehr ausgehenden Lärms ist die Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) nur dann nicht anwendbar, wenn es sich um von üblichen Verkehrsgeräuschen unterscheidbare Betriebsgeräusche handelt (Feldhaus, Kommentar zum Bundesimmissionsschutzrecht B.3.6, Rn. 40ff)
Aber beachte: In Bereichen, wo Gebiete unterschiedlicher Qualität und Schutzwürdigkeit zusammentreffen, ist zudem die Grundstücksnutzung mit einer spezifischen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet, die u. a. dazu führt, dass der Belästigte Nachteile hinnehmen muss, die er außerhalb eines derartigen Grenzbereiches nicht hinzunehmen brauchte. Das führt nicht nur zur Pflichtigkeit dessen, der Belästigungen verbreitet, sondern auch – im Sinne der „Bildung einer Art von Mittelwert” – zu einer die Tatsachen respektierenden Duldungspflicht derer, die sich in der Nähe von – als solche legalen – Belästigungsquellen ansiedeln. (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.12.1975, BVerwGE 50, 49 – Tunnelofen; BayVGH, Urteil vom 27.11.2006, 15 BV 06.422).
Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme (objektivrechtlich) stellt, hängt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 22.06.1990, ZfBR 1990, 293) wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Maßgebend ist u.a. Art und Ausmaß der schutzwürdigen Stellung des Rücksichtnahmebegünstigten. Dessen Schutzbedürfnis ist gegen die ihrerseits schutzwürdigen Interessen des Bauherrn mit der Fragestellung abzuwägen, was dem einen und dem anderen nach Lage der Dinge billigerweise "zuzumuten" ist. Bei der Interessenabwägung dürfen bestehende Vorbelastungen nicht außer Betracht bleiben. Was von einem genehmigten Betrieb legal an Belastungen verursacht wird und sich auf eine vorhandene Wohnbebauung auswirkt, kann deren Schutzwürdigkeit mindern. Dementsprechend sind z. B. die Lage des Grundstücks eines Nachbarn in der unmittelbaren Grenze zum Außenbereich oder ein bereits seit Jahrzehnten vorhandener Schweinemastbetrieb bei den Zumutbarkeitserwägungen zu berücksichtigen.
bb) In der Rspr. wird durchaus erkannt, dass die grundsätzliche Anwendbarkeit der vorrangig für die Bewertung von Industrie- und Gewerbelärm konzipierten TA Lärm auf eine Immissionsbelastung, die wesentlich auf die Lautäußerung von Tieren zurückgeht, nicht unproblematisch ist (vgl. z. B. VG Minden, Beschluss vom 05.10.2007 – 9 L 427 /07 – juris).
Denn prinzipiell werden Emissionen, die nicht von einer Anlage, sondern von Tieren ausgehen, durch das BImSchG nicht erfasst (vgl. VG Münster, Urteil vom 20.03.1981 – 1 K 2229/79 – juris). Schutz vor Tierlärm allgemein wäre eine Frage, die durch ein Landesimmissionsschutzgesetz zu regeln wäre; ein solches gibt es in Sachsen-Anhalt aber nicht.
Aber auch bei Tierhaltungsbetrieben wird teilweise die Anwendbarkeit der TA Lärm auf solche Betriebe in Frage gestellt, wenn die Lärmbelästigungen von Tieren ausgehen würden (vgl. z. B. zweifelnd: VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 22.12.2005 – 10 L 1466 /05 – juris; entschieden für einen Hundehandel und Hundezuchtbetrieb mit 200 Hunden). Die überwiegende Auffassung in der Rspr. wendet allerdings die TA Lärm entsprechend an (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 08.01.2008 – 7 B 1741 /07 – juris – Hundepension im Außenbereich). Diese sieht nämlich auch die Berücksichtigung einer besonderen Impulshaltigkeit der Emission durch Berechnung nach dem Taktmaximalverfahren und die Berücksichtigung einer besonderen Ton- oder Informationshaltigkeit durch entsprechende Zuschläge vor, d. h. tierische Lautäußerungen können so erfasst werden. Diese Besonderheiten müssen allerdings bei der schalltechnischen Begutachtung des Vorhabens beachtet werden (vgl. VG Minden a. a. O. für Hundegebell). Was für das Bellen von Hunden gilt, dürfte aber prinzipiell auch bei der Beurteilung des Muhens von Rindern, des Grunzens von Schweinen und des Gackerns von Hennen gelten.